Das Honda Dominator Forum

Sevilla kündigt sich schon von weitem an: Hässliche Industriegebiete und ein erbärmlicher Gestank bilden unser Begrüßungskommando. Schwitzend und oft orientierungslos fädele ich mich durch den dichten Großstadtverkehr. Im Osten, natürlich am entgegengesetzten Ende der Stadt, finde ich endlich den örtlichen Campingplatz. Er liegt direkt in der Einflugschneise des Flughafens und hält einen „schönen“ akustischen Leckerbissen für uns bereit: Der Lärm der knapp über dem Boden donnernden Düsenjets ist ohrenbetäubend. Bei anbrechender Dämmerung sorgt eine ganze Armada blutgieriger Stechmücken zusätzlich für gute Stimmung – und leider auch für Spannungen zwischen uns.

18. Tag: Nach einem feierlichen Frühstück steht uns heute nicht der Sinn. Unsere Vorräte gäben das auch nicht her. Lustlos am Moto stehend nehmen wir H-Milch und geschmackloses Weißbrot zu uns.

Dann geht es in die Innenstadt, wo ich mich wieder heillos verfranze. Der Dreck, die Hitze, der Lärm – das ist jetzt zu viel für uns. Spontan beschließen wir unsere sofortige Rückkehr zum Campingplatz, packen in aller Eile auf und verlassen den gastlichen Ort. Wir atmen auf, nachdem wir das hektische Sevilla verlassen haben und entlang des Guadalvivir https://de.wikipedia.org/wiki/Guadalquivir unserem nächsten Ziel entgegenfahren: der alten römischen Stadt Cordoba https://de.wikipedia.org/wiki/C%C3%B3rdoba_(Spanien), die so viele beeindruckende Architekturzeugnisse aus der Zeit der Mauren aufweist.

Im „Camping Cerca Lagartijo“ finden wir einen höchst akzeptablen Platz für unseren „Pudding“. Das verwilderte Gelände ist sehr weitläufig; außer uns gibt es nur wenige Gäste, zu denen auch die eine oder andere Ratte gehört. Uns lassen sie in Ruhe. Sigrid lässt es sich nicht nehmen, bei anbrechender Dämmerung ein schmackhaftes Abendessen zu kochen. Als wir es zu uns nehmen, ist es stockfinster.

19.-21. Tag: Wir genießen Cordoba und seine Umgebung. Besonderer Höhepunkt ist die Mezquita-Moschee https://de.wikipedia.org/wiki/Mezquita- ... C3%B3rdoba, die Kaiser Karl V. in einem unverzeihlichen Akt des kulturellen Vandalismus in eine Kirche mit barocken Einbauten umwidmen ließ. Die Stadtmauer, die römische Brücke, das maurische Wasserrad und die prachtvollen Bürgerhäuser beeindrucken uns. Abends hat Sigrids Küche geschlossen. Wir schlemmen gnadenlos und billig in diversen Restaurants. Dem Wechselkurs sei Dank!

Die Hitze ist so groß, dass ich bei unserem Ausflug zur 30 km entfernten Burg Almódovar del Rio https://de.wikipedia.org/wiki/Almod%C3% ... l_R%C3%ADo meine Lederjacke partout nicht anziehen mag. Dass ich beinahe den Tod gefunden hätte, liegt freilich nicht an der fehlenden Schutzkleidung. Es ist vielmehr das absolut mangelhafte Sicherheitskonzept des örtlichen Castillos Almodovar del Rio https://de.wikipedia.org/wiki/Castillo_ ... l_R%C3%ADo Es besitzt einen hohen Turm, in dessen oberstes Stockwerk eine vom Kastelldach begehbare Tür hineinführt. Wenn man aus dem blendenden Sonnenlicht in das Turminnere schreitet, ist es stockdunkel. Man sieht absolut nichts. Der Museumsführer schließt die Tür auf und bittet uns kommentarlos in einen riesigen Raum hinein. Ich stolpere Richtung Raummitte, halte dann aber rasch an – zum Glück! Im Boden direkt vor mir gähnt ein breites Loch, in das man früher die Gefangenen mindestens 15 Meter herunterließ. Ein Geländer oder eine Absperrung existiert nicht. Was hätten die Burgherren wohl gemacht, wenn ich weitergegangen wäre? Die Polizei informiert – oder alles vertuscht und mein armes Weib hinterher geworfen? Glücklicherweise bleibt das alles Spekulation!

22. Tag: Für unseren Geschmack viel zu früh verlassen wir das schöne Cordoba, um unser letztes Ziel anzusteuern: Granada https://de.wikipedia.org/wiki/Granada „El Ultimo“, so heißt sinnigerweise der Campingplatz, auf dem wir mittags unser Zelt aufbauen. Der Nachmittag gehört der Alhambra https://de.wikipedia.org/wiki/Alhambra. Wir treiben es jetzt wie die südostasiatischen Touristen: Europa in fünf Tagen. Im Grunde müsste man hier mindestens eine Woche zubringen. Der eine Nachmittag reicht aber schon, um uns mächtig zu beeindrucken. Wenn man sieht, was die Mauren hier bis zum 15. Jahrhundert hinstellten, dann wirken unsere heimischen Städte und Burganlagen aus jener Zeit doch reichlich primitiv und rückständig.

23. Tag: Wir müssen zurück: Das Wintersemester beginnt bald und wir haben uns sattgesehen. Auch die BMW will nicht mehr so recht. Ab und zu spotzt sie; Anspringen mag sie auch erst nach längerem Zureden. Also ab nach Hause. Wir wählen unseren Heimweg durch die mittelgebirgigen Sierras - entlang der Strecke Jaén, Ubeda, Albacete, Requena und Valencia zum Mittelmeer. Wir genießen die karge Landschaft und die oft spektakulären Aussichten, die sich uns bieten.

In Sagunt https://de.wikipedia.org/wiki/Sagunt wollen wir auf die Küstenautobahn. Hier lege ich eine Gedenkminute für Hannibal ein und frage mich, wie die abendländische Geschichte wohl verlaufen wäre, hätten die karthagischen Pfeffersäcke ihren begnadeten Heerführer nach der Schlacht von Cannae https://de.wikipedia.org/wiki/Schlacht_von_Cannae ordentlich mit Geld und Truppen versorgt – und nicht am ausgestreckten Arm verhungern lassen. Das Hinweisschild auf den örtlichen Campingplatz reißt mich aus meinen tiefschürfenden philosophischen Gedanken. Der Platz heißt „El Paradiso“, was sich in Bezug auf die Angebotsqualität im angeschlossenen Restaurant als freche Lüge erweist. Überteuert ist es außerdem. Zu allem Unglück lasse ich am nächsten Morgen auch noch meine Brille am Tresen liegen. Da ich tagsüber meine Sonnenbrille (mit optischen Gläsern) nutze, fällt mir der herbe Verlust erst am Abend auf. Und da sind wir Hunderte Kilometer von Sagunt entfernt.

24. Tag: Wir machen einen Abstecher zum Meer, das Sigrid wenigstens einmal in diesem Urlaub besichtigt haben will. Da wir etwas unter Zeitdruck stehen, wird das keine sehr entspannende Sache.

Mit 130 Sachen geht es auf der Küstenautobahn nach Norden. Die Fahrt ist wegen des starken Seitenwinds recht unangenehm. Bei Perpignan passieren wir einen großen Waldbrand, der von dem starken Wind immer wieder gnadenlos angefacht wird. In Agde https://de.wikipedia.org/wiki/Agde, unserem letztjährigen Urlaubsziel, kommen wir spät abends an. Tapfer schlagen wir unser Zelt auf und fahren im Dunkeln zur Hafenbar, um dort gemütlich zu essen. Wir werden leider enttäuscht: Die Qualität der Speisen ist hier ebenso miserabel wie am Tag zuvor in Sagunt. Künstlerpech!

25.-26. Tag: Die BMW ist nur noch mit Mühe zum Anspringen zu bewegen. Wir brechen unsere Zelte ab und fahren nach Frontignan, um eine Flasche des elend süßen Muskatweins https://de.wikipedia.org/wiki/Muscat_de_Frontignan abzugreifen. Für der Rest des Tages ist Sitzfleisch gefragt: Wir spulen Hunderte ereignislose Kilometer auf der Dosenbahn in Richtung Lyon ab. Der Mistral im Rhonetal ist ätzend. Am Ende des Tages nehmen wir wieder ein Zimmer im „Hotel des Platanes“.

Am nächsten Tag mummeln wir uns ganz dick ein. Willkommen im mitteleuropäischen Herbst! Der Schwarzwald empfängt uns mit kalten Duschen. Zu Hause werfen wir als erstes den Ofen an. Abends genießen wir das gastronomische Angebot beim Griechen und lassen den Tag bei einer Pulle Rotwein genüsslich ausklingen. In den zurückliegenden vier Wochen haben wir viel erlebt und 6.700 Kilometer abgeritten. Keine schlechte Leistung! Das Wichtigste aber ist: Wir haben zusammengehalten und uns nie ernstlich zerstritten. Vor allem das zählt!

5. Oktober 1978: Die Gummikuh wird endlich verarztet. Für 402 Mark erhält sie in der Stuttgarter BMW-Niederlassung eine große Inspektion und einen neuen Hinterreifen. Der Zündzeitpunkt wird auch korrigiert. Die R 75/7 dankt die Zuwendung mit willigem Anspringen. Jaja, ich muss mich darum kümmern, wie man die Kuh selber wartet. Im Winter besorge ich mir das originale blaue BMW-Werkstatthandbuch und studiere es eifrig. Eigentlich sollte ich mich ja auf mein Universitätsstudium konzentrieren…

Ende der Geschichte

Danke für die eingehaltene Funkdisziplin.

Wie immer ein Genuß aus Deiner Feder zu lesen !!!
Vielen Dank und nun wieder an die Pflicht

Lieben Gruß
Sylvia

Dein Leser und Schreib-Animateur hat sich sehr gefreut.
Vielen Dank Wolf-Ingo fürs Mitnehmen. Und schön auch, dass Sigrid bildhaft mitreisen durfte. Das tut dem Leser dann nochmals besonders gut.
Jetzt muss ich es aber gleich nochmals lesen......

... und da Du ja als erfolgreicher Buchautor auch unter Wikipedia zu finden bist, sollte jemand, der das kann, Deine Reiseberichte zum Domi-Forum verlinken.

Sehr schöner Bericht, hat Spaß gemacht beim Lesen.

Kleiner Hinweis: Ein Großteil der enthaltenen Links zu Wikipedia oder Google Maps funktioniert leider nicht.

kc85

kc85 hat geschrieben: ↑Mo 15. Jan 2024, 16:58 Kleiner Hinweis: Ein Großteil der enthaltenen Links zu Wikipedia oder Google Maps funktioniert leider nicht.
kc85

Danke für den Hinweis, ich versuche nachzubessern!

Edit: erledigt!

Lieber Wolf-Ingo, schön wieder ein Reisebericht von dir zu lesen. Wollte ins Bett und nahm nochmal das Handy zur Hand. Was ist das? Ein neuer alter Reisebericht. Danke für die mitnahme einer vergangenen Reise. Wie immer klasse zu lesen und weil ich besser gucken kann als lesen, freue ich mich, daß tolle Bilder den Bericht begleiteten.

Danke Wolf-Ingo

Gruß, Rolf

Meine Lieblingslektüre und ein bisschen Zeitgeschichte. Auf der Strecke bin ich teilweise demnächst.
Gruss und danke dafür

Vielen Dank für einen weiteren, herrlichen Reisebericht von Dir aus der Zeit der Zündkontakte. Immer willkommen

Wie immer ein toller Bericht mit tollen Photos aus einer Zeit, zu der ich noch mit dem Bonanza-Rad unterwegs war.

Danke, Wolf-Ingo fürs Teilhaben.
Ich habe mir Deinen Reisebericht heute beim gemütlichen Vormittagstee genussvoll durchgelesen.

Viele Grüße, und schau ruhig wieder etwas öfter ins Forum rein.
Steffen

Vielen Dank für diesen kurzwelligen Bericht!
Tolle Bilder aus der alten Zeit ohne den ganzen heutigen Schnickschnack.
Gruß Mago

Vielen Dank für einen weiteren, herrlichen Reisebericht von Dir aus der Zeit der Zündkontakte...

Wilfried - vielen Dank, für diesen Satz
Sobald das 'böse_Streusalz' von den Straßen verschwunden ist, werde ich ein weiteres Relikt aus dieser - durchaus unterhaltsamen Zeit - wiederbeleben und mich damit bei Dir 'sehen_lassen' .
Sagt Dir der Name - Heinz Derwort (TutTut) noch etwas - ein ehemaliges Vilbeler 'Motorrad-Urgestein', von ihm stammt das 'Relikt' !
Wenn ich mich recht erinnere habe ich es Anfang der 80er Jahre nach langem Feilschen für ca. 180,- DM käuflich erworben.
Seit 12 Jahren hängt das Gute Stück bei mir in der Garage 'zugelassen' an der Wand (auf Wunsch gerne Bilder).
Wenn es nicht so wahnsinnig weit von 'Massenheim bis Karben' wäre, könnte man sich auch durchaus mal auf einen 'Äppler' treffen !

MfG. Herbert

Hallo Herbert,
gehört habe ich den Namen schon, kann ihn jetzt aber nicht mit Weiterem in Verbindung bringen. Na, da komm‘ doch mal samt „Relikt“ vorbei. Wenn Du frühmorgens startest bist Du ja zum Abendschoppe da .

steffen hat geschrieben: ↑So 21. Jan 2024, 11:27 [...] und schau ruhig wieder etwas öfter ins Forum rein.

Hast ja recht, Steffen! Meistens kämpfe ich mit der Abfassung irgendwelcher abseitiger Texte und tauche nur selten aus den Untiefen der deutschen Geschichte auf. Die Domis laufen alle, insofern gibt es wenig Grund zum Posten. Und blöderweise finden die Domi-Treffen immer dann statt, wenn ich mich in den Sattel schwinge, um eine längere Reise zu unternehmen. Ich versuche wenigstens beim Posten Besserung zu leisten.

Danke an alle, die meinen Bericht gelesen haben und sich freundlich über ihn äußerten.

Liebe Grüße

Wolf-Ingo