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Der alte Wolf will es noch einmal wissen – 8.000 km in die Extremadura

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Der alte Wolf will es noch einmal wissen – 8.000 km in die Extremadura

Beitrag von Nergal »

Werte Motoradkollegen und -kolleginnen,

Untenstehender Reisebericht ist nun vollständig. Danke für die überaus freundlichen Kommentare.

Zuletzt geändert von Nergal am Mi 12. Jul 2023, 13:08, insgesamt 2-mal geändert.
Beste Grüße

Wolf-Ingo

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Re: Der alte Wolf will es noch einmal wissen – 8.000 km in die Extremadura

Beitrag von Nergal »

Frage: Woran erkennt einer, dass er nicht mehr zu den jungen Hoffnungsträgern zählt? Antwort: An der sich häufenden Werbung für Treppenlifte im Briefkasten und daran, dass der Bürgermeister anfragen lässt, ob er vorbeikommen darf, um dem greisen Paar die Segenswünsche der Gemeinde zur Goldenen Hochzeit zu überbringen! Wie reagiert man darauf? Genau: mit Flucht! Zunächst samt Göttergattin nach Braunschweig und dann alleine mit dem Motorrad in den Süden. Das ist allerdings leichter gesagt als getan: Meine letzte lange Reise liegt covid-bedingt vier Jahre zurück, und ob die mehr als 70 Jahre alten Knochen das Campen noch vertragen, muss sich noch weisen. Unsicher ist zudem, ob die vom Arzt kürzlich diagnostizierte Altersmigräne einen ungetrübten Urlaubsgenuss überhaupt zulässt. Herauszufinden ist das nur, wenn man es ausprobiert. Also sattele ich Ende Mai meine Enduro und tuckere los. Wie man sieht, nehme ich nur das Nötigste mit. Im Gepäck befinden sich mehrere Dutzend Migränepillen.
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Der alte Sack und das Töff.
Der alte Sack und das Töff.
Zuletzt geändert von Nergal am Mi 12. Jul 2023, 16:43, insgesamt 1-mal geändert.
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Re: Der alte Wolf will es noch einmal wissen – 8.000 km in die Extremadura

Beitrag von Nergal »

Donnerstag, 25. Mai: Um 8.30 Uhr komme ich bei herrlichem Sonnenschein in Coburg los. Da nur 12 Grad Celsius herrschen, mummele ich mich dick ein. Über Heilbronn, Freiburg und Besançon erreiche ich gegen 18 Uhr den Campingplatz von Lons-le-Saunier, den ich schon rund ein Dutzend Mal besucht habe. Da ich nach fast 10stündiger Fahrt keine Lust zum Abkochen verspüre, schiebe ich mir Baguette mit Käsebelag zwischen die Kiemen. Ausklingen lasse ich den ersten Fahrtag mit einem Gläschen Wein und Musik – das war jedenfalls der Plan. Als ich meinen winzigen Sony-Empfänger einschalte, gibt er keinen Ton von sich. Und das bleibt so bis zum Ende meiner Reise. Am Vortag hatte er noch bestens funktioniert! Mist! Ein herber Verlust für meine musikverwöhnten Ohren.
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Töff und Keron 3 in Lons-le-Saunier
Töff und Keron 3 in Lons-le-Saunier
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Re: Der alte Wolf will es noch einmal wissen – 8.000 km in die Extremadura

Beitrag von Nergal »

Freitag, 26. Mai: Die Nacht war kalt. Trotzdem habe ich bestens geschlafen. Nach dem Aufstehen bemerke ich, dass die Uhr am Lenker 7 Stunden nachgeht. Ihr hätte ich wohl besser rechtzeitig eine neue Monozelle spendiert. Fortan lebe ich auf der Domi zeitlos. Macht nix, denke ich: Es gibt ja noch meine Armbanduhr. Dass die bald auch ihren Geist aufgibt, kann ich ja noch nicht wissen. Vor der Abfahrt gegen 10 Uhr verstaue ich meine warme Unterwäsche in den Tiefen meiner prall gefüllten Koffer und begebe mich ab Bourg-en-Bresse auf die Autoroute gen Lyon. Dort komme ich knapp mit dem Leben davon. Das vor mir fahrende Auto gibt urplötzlich ein quer auf der linken Fahrbahn liegendes dickes Kantholz frei. Glücklicherweise hatte ich die Domi kurz zuvor auf die rechte Fahrbahn gelenkt, sonst…
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Pullover ablegen vor Lyon
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Re: Der alte Wolf will es noch einmal wissen – 8.000 km in die Extremadura

Beitrag von Nergal »

Zur Mittagszeit passiere ich Lyon auf dem Boulevard Périphérique und steuere dann über St. Etienne und Le Puy das Zentralmassiv an. Die Strecke ist sehr gut ausgebaut; Innenstädte passiert man nicht. Entsprechend langweilig ist die Fahrt. Das Tempolimit nervt mich zusätzlich. 30 Kilometer vor Mende zieht sich der Himmel zu. Ich warte viel zu lange mit dem Anziehen der Regenpelle, und als ich mich endlich durchringe, gießt es bereits in Strömen. Der linke Stiefel frisst sich im Hosenfutter fest, es geht weder vor noch zurück. Derweil klatscht das himmlische Wasser gnadenlos auf meine ungeschützte Lederhose. Meine Befreiungsversuche scheitern kläglich. Mit fast 73 Jahren bin ich nicht mehr so gelenkig wie mit 43. Als dann noch ein Autofahrer anhält und mich fragt, ob ich Hilfe brauche, ist das so ziemlich die peinlichste Situation in meinem über 50jährigen Motorradfahrerleben. Nachdem es mir endlich gelungen ist, die Regenhose überzustreifen, dauert es nur 20 Minuten, bevor die Sonne wieder scheint. Ich ziehe den Regenanzug nicht wieder aus und bezahle es mit einem saunaartigen Innenklima, je tiefer ich in den Süden vordringe.
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kurze Rast vor dem Regen an einer Tanke im Zentralmassiv
kurze Rast vor dem Regen an einer Tanke im Zentralmassiv
Zuletzt geändert von Nergal am Mi 12. Jul 2023, 20:04, insgesamt 1-mal geändert.
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Re: Der alte Wolf will es noch einmal wissen – 8.000 km in die Extremadura

Beitrag von Nergal »

Im Laufe meines Ritts zerlegt der Einzylinder das Voltmeter am Lenker. Die Befestigungsschrauben des Zifferblatts drehen sich heraus und vollführen auf den nächsten 7.000 km einen lustigen Tanz unter ihrer Glasabdeckung. Die Geräuschkulisse erinnert an ein zu großes Ventilspiel. Es scheint ein Urlaub der Ausfälle zu werden. Gegen 18 Uhr biege ich von der A 75 nach Pézenas ab und schlage mein Zelt auf dem https://de.campingsaintchristol.com/ auf. Endlich kann ich die Regenklamotten ablegen und zum Trocknen in die Büsche hängen.
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trocknende Regenklamotten auf dem Platz Saint Christol
trocknende Regenklamotten auf dem Platz Saint Christol
Zuletzt geändert von Nergal am Mi 12. Jul 2023, 18:35, insgesamt 1-mal geändert.
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Re: Der alte Wolf will es noch einmal wissen – 8.000 km in die Extremadura

Beitrag von Nergal »

Ich entschließe mich dazu, Essen zu gehen und bin entzückt! Das Platz-Restaurant weist den leicht morbiden Charme früherer Jahrzehnte auf. Es ist das, was man authentisch nennt.
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Schlemmen in Pézenas
Schlemmen in Pézenas
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Re: Der alte Wolf will es noch einmal wissen – 8.000 km in die Extremadura

Beitrag von Nergal »

Die Gaststube ist groß und hat Platz für alle: für die beiden Hunde, die auf ihren alten Sesseln pennen, für Susy, den patriotischen Nymphensittich, der gern die Marseillaise pfeift…
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die patriotische Suzy
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Zuletzt geändert von Nergal am So 6. Aug 2023, 17:28, insgesamt 1-mal geändert.
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Re: Der alte Wolf will es noch einmal wissen – 8.000 km in die Extremadura

Beitrag von Nergal »

…für die namenlose Katze, die immer wieder ihren Fresstrog auf dem Tresen der Rezeption besucht und für eine feiernde Großfamilie, deren Mitglieder zwischen 0,5 und 50 Jahre alt sind. Das ist Frankreich, wie ich es liebe.
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Katze im Restaurant
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Re: Der alte Wolf will es noch einmal wissen – 8.000 km in die Extremadura

Beitrag von Nergal »

Für den Höhepunkt des Abends sorgt Jean-Marie, der Platz-Betreiber und Restaurant-Koch. Plötzlich zieht er sich in seiner Küche um und bewaffnet sich mit einem Kassetten-Recorder.
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Gleich geht es los!
Gleich geht es los!
Zuletzt geändert von Nergal am So 16. Jul 2023, 23:51, insgesamt 1-mal geändert.
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Re: Der alte Wolf will es noch einmal wissen – 8.000 km in die Extremadura

Beitrag von Nergal »

Dann erscheint er als Mariachi-Sänger im Lokal und flambiert mit großer Geste ein Gericht. Was für ein wundervoller Abend, denke ich, als ich leicht beschwipst zum Zelt marschiere.
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Jean-Marie in Action
Jean-Marie in Action
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Re: Der alte Wolf will es noch einmal wissen – 8.000 km in die Extremadura

Beitrag von Nergal »

Samstag, 27. Mai: Gegen 10 Uhr komme ich los. Da ich die Pyrenäen aus Zeitgründe nicht überqueren möchte, steht heute langweile Autobahnfahrt entlang der Strecke Perpignan-Barcelona-Lleida an. Das ist so öde, dass ich mich zu fragen beginne, warum ich mir das antue. An einer spanischen Tankstelle beobachte ich, wie ein dicker Mercedes vorfährt. Am Steuer sitzt eine Frau im schicken Hosenanzug. Ihre Karre braucht Wartung. Der mitfahrende Kavalier steigt aus, kauft einen Kanister AdBlue im Shop und entleert ihn in den Tank der Nobelkiste. Dabei stellt er sich offenbar so ungeschickt an, dass ihm der Hosenanzug den Kanister kurzerhand aus der Hand nimmt und das AdBlue selbst einfüllt. Der düpierte Kavalier schaut hilfesuchend zu mir; ich schaue freundlich zurück und zucke fatalistisch mit den Achseln. Dankbar vermerkt er den geschlechtsspezifischen Trost. Ich dagegen schreibe mir die alte Erkenntnis hinter die Ohren: „Never judge a book by its cover.“

In Alcaniz, einer Stadt ca. 120 km südlich von Lleida, schlage ich mein Zelt auf dem örtlichen Camping auf. Gleichzeitig mit mir fällt eine Gruppe kuttentragender Slowenen auf dem Platz ein. Wir ignorieren uns höflich. Da es kein Platzrestaurant gibt, mümmele ich den Rest der morgendlichen Baguette und einen Landjäger. Nicht weit von hier führen Carmen und Felix ihren Campingplatz; dort hätte ich sogar ein gutes Abendessen bekommen. Leider wohnt dort auch ein fieser Kater, der gern Zeltbahnen zerkratzt. Bei meinem Nobelzelt ist das keine Alternative. Nach meinem kärglichen Mahl trinke ich ein Bier in der Platzkneipe und kriege herrlichste Soulmusik aus meiner Jugendzeit geboten. Neben mir sitzt eine Gruppe Spanier. Einer davon fährt offenbar ein BMW-Motorrad. Ein Bild von sich und seiner Maschine ziert die Brust seines T-Shirts. Ich fotografiere ihn heimlich.
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Bekennender BMW-Fan
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Zuletzt geändert von Nergal am Di 11. Jul 2023, 13:13, insgesamt 1-mal geändert.
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Re: Der alte Wolf will es noch einmal wissen – 8.000 km in die Extremadura

Beitrag von Nergal »

Sonntag, 28. Mai: Nächtlicher Regen deutet an, dass dieser Tag der unangenehmste auf der ganzen Reise werden wird. Gegen 10.30 Uhr verlasse ich Alcaniz und mache den Fehler, meine „Hausstrecke“ nach Teruel zu wählen, obwohl genau dort die schwärzeste Schwärze am Himmel droht. Es kommt, wie es kommen muss: Bei Mas de las Matas steige ich in den Regenanzug und ziehe ihn für sehr viele Stunden nicht mehr aus. Meine „Hausstrecke“ ist eine tolle Route, wenn es trocken ist. Sie führt über kleine Nebenstrecken bis in Höhen von 1.700 m, und man hat einen weiten Blick über das Land. Jetzt aber sehe ich durch das beschlagene Visier gar nichts mehr und friere entsetzlich in meinem dünnen T-Shirt. Warum nur tue ich mir das an? Im strömenden Regen kommen mir zwei pedalgetriebene Drei-räder entgegen, deren Fahrer im Fahrzeug liegen. Auf den Dächern befinden sich Sonnenkollektoren. Da wir alle unter demselben Wetter leiden, grüßen wir uns – entgegen sonstiger Gepflogenheiten. Wer grüßt hier wohl wen? Die Vergangenheit die Zukunft?

Hinter Teruel verschließt der Himmel endlich seine Pforten, sodass ich wenigstens eine kurze Rast einlegen kann. Die Uhr am Lenker zeigt 12.30 Uhr an; tatsächlich ist es bereits 16 Uhr.
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Endlich eine Rast nach stundenlangem Regen
Endlich eine Rast nach stundenlangem Regen
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Re: Der alte Wolf will es noch einmal wissen – 8.000 km in die Extremadura

Beitrag von Nergal »

Vor Cuenca überlasse ich dem Navi die Regie. Stundenlang düse ich die Autobahn entlang. Öde! Nichts zu sehen, außer Weinbergen und Olivenhainen. Links und rechts zucken Blitze; ich aber fahre wie durch ein Wunder immer dorthin, wo es trocken bleibt. Langsam müsste mal ein Campingplatz auftauchen. Tut er aber nicht! Es ist schon spät abends, als mir klar wird, dass ich ein Hostal finden muss. In Malagon (https://de.wikipedia.org/wiki/Malag%C3%B3n) kann ich das örtliche Hostal trotz genauer Beschreibung eines Tankwarts lange nicht finden und fahre endlich frustriert nach Porzuna (https://es.wikipedia.org/wiki/Porzuna) weiter, wo ich das Hostal „Los Montes“ auf Anhieb finde. Es hat leider geschlossen. Langsam beginne ich mich mit dem Gedanken anzufreunden, nach Einbruch der Dunkelheit in einen Feldweg abzubiegen und an einer versteckten Stelle mein Zelt aufzuschlagen.
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Zu früh gefreut: das geschlossene Hostal „Los Montes“ in Porzuna
Zu früh gefreut: das geschlossene Hostal „Los Montes“ in Porzuna
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Re: Der alte Wolf will es noch einmal wissen – 8.000 km in die Extremadura

Beitrag von Nergal »

In Piedrabuena, finde ich im Hostal „Los Pucheros“ (https://www.facebook.com/people/Asador- ... 063858751/) endlich eine Bleibe für die Nacht. Es strahlt des Charme früherer Eleganz aus, wirkt jetzt aber ein wenig abgewohnt. Egal: Ich habe einen trockenen Platz für die Nacht. Gegen 22 Uhr habe ich die Domi abgepackt und meine Vorräte im Zimmer um zwei Scheiben Vollkornbrot und etwas Wurst reduziert. Danach suche ich die Bar für einen Absacker auf. Ich hocke allein am Tresen; die Fernfahrer sind wohl alle bereits in ihre Kojen abgetaucht. Vier Uniformierte von der Guardia Civil, darunter eine blonde Frau, beehren mich mit ihrer Anwesenheit. Sie wirken ganz manierlich und sind wohl nicht mehr die brutalen Schergen Francos, die ihre Vorgänger einst waren. Im Hintergrund läuft ständig der TV, den niemand beachtet. Bei einem Wein von mäßiger Qualität lasse ich den vergangenen Tag Revue passieren. Von Spanien habe ich nicht viel gesehen. Die Straßen verlaufen abseits der Siedlungen; ein neugieriger Tourist bekommt wenig zu sehen. Nachts kriege ich heftige Wadenkrämpfe und nehme prophylaktisch eine Migränetablette ein. Das Alter lässt grüßen!
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Das Hostal „Los Pucheros“ in Piedrabuena
Das Hostal „Los Pucheros“ in Piedrabuena
Zuletzt geändert von Nergal am So 6. Aug 2023, 15:17, insgesamt 4-mal geändert.
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Re: Der alte Wolf will es noch einmal wissen – 8.000 km in die Extremadura

Beitrag von Nergal »

Montag, 29. Mai: Mein Hotelzimmer soll nun plötzlich 50 € statt der am Vortag angekündigten 25 € kosten. Ich bitte vor Zahlung um eine schriftliche „Nota“ und entdecke zwei Übernachtungen auf dem Dokument. Schnell ist das „Missverständnis“ geklärt. Der Herr am Tresen ist danach auffällig freundlich zu mir. Gut gefrühstückt und sorgfältig eingepackt in meine Regenpelle ziehe ich um 11 Uhr los. Es herrscht trübes Schauerwetter.
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Auf dem Weg nach Guadalupe
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Beitrag von Nergal »

Bekümmert bemerke ich, dass es mit dem Wildzelten gestern wohl nichts geworden wäre. Jedes noch so kleine Äckerchen, jeder winzige Feldweg ist durch Zaun und Gatter von der Straße abgetrennt. Mir kommt der Spruch in den Sinn, dass Eigentum Diebstahl sei. Ich passiere zahlreiche Storchennester, auch auf Strommasten, deren Leitungen in Flügelschlagweite liegen. Gruselig! Nach zwei Stunden Fahrt erreiche in Guadalupe, wo ich die nächsten zwei Wochen verbringen werde. Der Ort liegt in den Bergen und hat ein weltberühmtes Kloster, dessen Besichtigung ich mir nicht entgehen lassen will. https://de.wikipedia.org/wiki/Real_Mona ... _Guadalupe
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Das Kloster Guadalupe
Das Kloster Guadalupe
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Re: Der alte Wolf will es noch einmal wissen – 8.000 km in die Extremadura

Beitrag von Nergal »

Mein Ziel heißt „Las Villuercas“ (http://www.campinglasvilluercasguadalupe.es/index.html). Der Campingplatz verfügt über eine ausgesprochene Rarität: hohe Bäume, die ausreichend Schatten spenden. Die Anlagen sind zwar schon älteren Datums, werden aber hinreichend gepflegt. Mit 10 € pro Nacht sind die Preise für den allein reisenden Motorradfahrer ausgesprochen günstig. Ein Dreigang-Menü gibt es ab 10 €, einschließlich einer Pulle Wein, versteht sich.
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Platzrestaurant „Las Villuercas“
Platzrestaurant „Las Villuercas“
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Beitrag von Nergal »

Hier fährt man rein!
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Platzeinfahrt
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Beitrag von Nergal »

Nach 2.600 Anfahrts-Kilometern schlage ich auf dem Campingplatz auf. Eines ist klar: Das wird eine meiner längsten Reisen. Und ich fahre seit 1971 Motorrad. Mein Co2-Fußabdruck ist mittlerweile derart groß, dass ich mich 100 Jahre lang an einem Rembrandt-Bild festkleben müsste, um meine Schuld zu tilgen. Keine Chance, so alt werde ich nie! Eine geeignete Stelle zum Aufbau meiner Behausung zu finden, erweist sich als schwieriger als gedacht. Das Wäldchen steht dermaßen unter Wasser, dass ich an den Rand ausweichen muss. Da ich keine Ahnung über den Stand der Sonne habe, baue ich das Zelt so unglücklich auf, dass es ab 14 Uhr bis zum späten Abend in der prallen Sonne stehen wird. Aber noch ahne ich das nicht.
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Angekommen in Guadalupe
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Beitrag von Nergal »

Erleichtert, nach 4½ anstrengenden Reisetagen endlich angekommen zu sein, baue ich mein Zelt auf und schmeiße meine Siebensachen ungeordnet hinein. Aufgeräumt wird später.
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Chaos im Zelt
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Beitrag von Nergal »

Außer mir ist nur noch ein Belgier mit Hund am Platz, der aber am folgenden Tag des schlechten Wetters wegen in das Rioja abreist, wo es – wie er später berichten wird – auch nur Bindfäden regnet. Am Nachmittag trifft Marianne ein, eine niederländische Krankenschwester, die mich abends zu gebratenem Hühnchen einlädt. Sie bleibt etwa eine Woche am Platz, bevor sie nach Norden verlegen wird. Bis dahin pflegen wir einen freundlich-respektvollen Umgang miteinander und haben den einen oder anderen Plausch über Gott und die Welt. Spät am Abend treffen noch zwei Briten ein, darunter ein Schotte, der auf baldige Loslösung vom United Kingdom hofft. Die beiden fahren BMW, von Triumph haben sie die Nasen gestrichen voll, weil sie unzuverlässig seien. Am späteren Abend nimmt mich der Patron zur Fütterung seiner Merinoschafe mit, die lautstark ihren Hunger verkündet haben.
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Θρῆικές τε γλαυκοὺς καὶ πυρρούς <φασι πέλεσθαι>.
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Nergal
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Re: Der alte Wolf will es noch einmal wissen – 8.000 km in die Extremadura

Beitrag von Nergal »

Manche der Schafe lauschen aufmerksam ihrem Patron. Weilt ein neuer Franziskus unter uns?
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Predigender Patron
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Beste Grüße

Wolf-Ingo

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Re: Der alte Wolf will es noch einmal wissen – 8.000 km in die Extremadura

Beitrag von Nergal »

Abends hänge ich bei 16 Grad Celsius mit Rotwein am Moto ab. Es ist idyllisch hier: Blökende Schafe, eine muhende Kuh, eine Eule und andere Vögel liefern mir ein mehrstimmiges Konzert. Momentan vermisse ich das Radio nicht.

Dienstag, 30. Mai: Gegen 10 Uhr komme ich aus den Federn. Ich koche Kaffee und rücke den Kocher weit vom Zelt ab, da die beim Vorheizen hochschlagenden Flammen vom Wind in Richtung Zelt geschlagen werden. Warum habe ich auch den Brennspiritus zu Hause vergessen? Doof ist auch, dass sich direkt unter dem Poncho, auf dem ich sitze, ein Loch befindet, das ich übersehen habe. Ich fülle es mit kleinen Steinchen, die sich schmerzhaft in die Knie drücken, wenn man drauf sitzt. Zum Frühstück genieße ich abgelaufenes Tegut-Vollkornbrot und eine weitgereiste Luxusleberpastete von Jensen. Sie hat mich in der Vergangenheit auf mehreren Reisen als Notvorrat begleitet. Jetzt ist die Zeit des Abschieds gekommen. Sie schmeckt passabel.
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Der Chef kocht Kaffee vorm Zelt
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Wolf-Ingo

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Re: Der alte Wolf will es noch einmal wissen – 8.000 km in die Extremadura

Beitrag von Nergal »

Ich gehe den Tag gemütlich an. Gegen Mittag fahre ich nach Guadalupe und kaufe Vorräte ein. Die Brotversorgung wird wohl zum Problem, wenn ich nicht morgens vor dem Frühstück zum Einkaufen fahren will. Also bunkere ich als Notvorrat geröstetes Toastbrot, das sich später leider als Zwieback entpuppt. Angesichts der prognostizierten Temperaturen – es ist sogar Sturm angesagt – entscheide ich mich für Weißwein. Für Marianne, die niederländische Nachbarin, kaufe ich eine kleine Leckerei als Dank für die Einladung zum Hühnchen ein. Die Chefin im Supermercado geht sehr freundlich und hilfsbereit mit mir um. Ob ein spanischer Motorradfahrer ohne Deutschkenntnisse bei uns genauso behandelt würde? Am Nachmittag ist Körperpflege angesagt. Ich genieße die Dusche und die frische Wäsche am Leib. Die Bewegungen im Zelt empfinde ich als beschwerlich. Das Alter lässt grüßen. Trotzdem tut es nach fünf Fahrtagen gut, einmal nicht im Sattel zu hocken. Den Rest des Tages verdöse ich. Abends gibt es Kohlrouladen aus dem Bordvorrat. Da ich sie zu heiß serviere, habe ich bald mit Brandblasen im Mund zu kämpfen.

Gegen halb neun rücke ich meinen Campingstuhl ans Moto und nehme die Weinpulle mit. Die Plastiktasse wird auf dem linken Seitenkoffer platziert. Mangels eines funktionsfähigen Radios muss ich mir meine Musik selbst machen. Ich entscheide mich für Heinrich Schütz und brumme (https://www.youtube.com/watch?v=vTiMOsMsv2I) vor mich hin. Die Schafsherden begleiten mich. Mal blökt der Bock von der Linken, dann stimmt sein Kollege von der Rechten ein. Bald vereinen sich ihre Stimmen zu einem überwältigenden Tutti. Welch ein Fest venezianischer Doppelchörigkeit! Schütz und sein Lehrer Giovanni Gabrieli wären begeistert. Wenn man nur genügend Zeit hätte, um die stimmlich so begabten Interpreten zu schulen, bekäme man ein Ensemble zusammen, das weltweit seinesgleichen sucht. Die Aufführung „doppelchöriger Schafsmotetten“ wäre eine Riesensensation! Einer umjubelten Tournee über alle Kontinente hinweg stünde dann wohl nur die ungelöste Frage entgegen, welches Hotel sich bereitfände, eine Schafherde als Gäste zu akzeptieren. Bevor ich weitere Ideen dieser Art gebäre, begeben ich mich gegen 23 Uhr in die Koje.
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Neben dem Moto verbringe ich meine Abende
Neben dem Moto verbringe ich meine Abende
Zuletzt geändert von Nergal am Mi 12. Jul 2023, 14:23, insgesamt 2-mal geändert.
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