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Re: Kaiser Pauls Vermächtnis: nach Avila (1978)

Verfasst: Mo 1. Jan 2018, 16:55
von Nergal
In Lagos sehen wir archaisches Tongeschirr und eine herrlich altmodische Petroleumlampe. Wie schade, dass die schönen Dinge nicht auf unser Motorrad passen. Abends lernen wir eine Gruppe junger Leute aus Stuttgart kennen, die mit einem uralten Mercedes-Diesel auf Tour sind. Das Transportproblem ist damit geklärt. Noch heute erfreuen wir uns an den Mitbringseln aus dieser grauen Vorzeit! Die Glasur des Tongeschirrs ist übrigens mit Cadmium versetzt, weshalb es nur noch benutzt wird, wenn Erbtanten zu Besuch sind.

Re: Kaiser Pauls Vermächtnis: nach Avila (1978)

Verfasst: Mo 1. Jan 2018, 16:55
von Nergal
Nach vier Tagen brechen wir nach Osten auf. Parallel zur Küste geht es via Faro nach Vila Real de San Antonio. Hier bildet der Rio Guardiana den Grenzfluss zwischen Spanien und Portugal. Eine Brücke gibt es noch nicht. Mutig brettere ich über die niedergelegte Bordwand auf die Fähre und bin stolz wie Oskar. Sigrid hält den bedeutenden Moment der Zeitgeschichte fotografisch fest.

Re: Kaiser Pauls Vermächtnis: nach Avila (1978)

Verfasst: Mo 1. Jan 2018, 16:56
von Nergal
Über Huelva geht es nach Sevilla, wo wir auf dem gleichnamigen Zeltplatz aufschlagen. Leider liegt der direkt in der Einflugschneise des örtlichen Flugplatzes. Mit einem Höllenlärm brettern die Jets in niedrigster Höhe über unser Zelt hinweg. Tapfer halten wir die Stellung. Damit keine unangemessene Gemütlichkeit aufkommt, nehmen wir unser Frühstück am nächsten Morgen gleich im Stehen ein.

Re: Kaiser Pauls Vermächtnis: nach Avila (1978)

Verfasst: Mo 1. Jan 2018, 16:57
von Nergal
Sevilla erweist sich als ein dreckiger, stinkender Verkehrsmoloch, in dem wir uns ständig verfranzen. Die Altstadt finden wir nicht. Nach einer schweißtreibenden Stunde im Verkehrsstau machen wir auf dem Absatz kehrt, brechen unser Zelt auf der Rollbahn ab und tuckern entlang des Rio Guadalquivir nach Cordoba. Die Hitze macht uns zu schaffen: Es ist derart drückend, dass wir auf alle Sicherheit pfeifen und im T-Shirt fahren. Jetzt bloß keinen Hitzschlag kriegen! Die riesigen Kakteenfelder am Straßenrand entzücken die Kakteensammlerin Sigrid.

Re: Kaiser Pauls Vermächtnis: nach Avila (1978)

Verfasst: Mo 1. Jan 2018, 16:57
von Nergal
Wir landen auf dem „Camping Cerca Lagartijo“, einem weitläufigen, ungepflegten Platz östlich von Cordoba. Er existiert längst nicht mehr. Bei unserer Ankunft beherbergt er ungefähr 30 Zelte und 100 Ratten. Im letzten Licht der Dämmerung kochen wir eilends ab und genießen es, dass so viel freier Raum um uns herum existiert.

Re: Kaiser Pauls Vermächtnis: nach Avila (1978)

Verfasst: Mo 1. Jan 2018, 16:59
von Nergal
Die folgenden Tage durchstreifen wir Cordoba und Umgebung. Die Stadt ist einfach überwältigend. Wir besichtigen die Mezquita-Moschee, die fromme Banausen im 16. Jahrhundert architektonisch wüst geschändet haben. Von Kaiser Karl V ist überliefert, dass er drei Dinge bereut haben soll. Zwei davon waren: (1.) dass er Luther am Leben ließ und (2.) dass er katholischen Fanatikern erlaubte, die Architektur der drittgrößte Moschee der Welt durch den Einbau einer Kirche nachhaltig zu beschädigen. Über ersteres wird man geteilter Meinung sein können; im zweiten Fall hat der Mann sicher recht! Ich besteige den hohen Kirchturm und werde von Höhenangst geplagt. Sigrid dagegen sagt, sie bewundere meinen Mut. Das baut einen Mann doch auf! Ehrlich gesagt, schien sie mir von der Höhe deutlich weniger beeindruckt.

Re: Kaiser Pauls Vermächtnis: nach Avila (1978)

Verfasst: Mo 1. Jan 2018, 17:00
von Nergal
Während wir arglos die Stadt durchstreifen und über die römische Brücke schlendern, die den Rio Guadalqivir überspannt, werden unsere Fressalien und unsere Nierengürtel aus dem Tankrucksack geklaut. Es sollte der einzige Diebstahl in 46 Jahren Motorrad-Tourismus bleiben.

Re: Kaiser Pauls Vermächtnis: nach Avila (1978)

Verfasst: Mo 1. Jan 2018, 17:02
von Nergal
Eindrucksvoll ist Almodovar del Rio, das sich 10 Kilometer westlich von Cordoba erhebt. Ursprünglich hieß das Castillo Al Mudawar und war maurischen Ursprungs. Von seinen Zinnen hat man einen grandiosen Blick über die weite Ebene des Guadalquivir. Hier hätte beinahe mein Leben geendet: Die Besichtigung überlebe ich nur denkbar knapp, weil der Guide nichts von überflüssigen Warnungen hält. Ganz oben, in Höhe des Dachs, schickt er uns aus dem gleisenden Sonnenlicht in das Innere eines lichtlosen Turms. Ich stehe ganz vorn in der kleinen Gruppe und werde zum raschen Eintreten gedrängt. Unser Führer bleibt draußen stehen. Misstrauisch, wie ich bin, mache ich nur wenige Schritte vorwärts. Und das ist gut so! Einige Meter weiter klafft ein rundes Loch im Fußboden, durch das es geschätzte 20 Meter in die Tiefe geht. Keinerlei Absperrung sichert den Ort. Wie uns der Fremdenführer erklärt, wurden hier früher die Gefangenen abgeseilt. Danke, gütiges Schicksal!

https://de.wikipedia.org/wiki/Castillo_ ... l_R%C3%ADo

Re: Kaiser Pauls Vermächtnis: nach Avila (1978)

Verfasst: Mo 1. Jan 2018, 17:03
von Nergal
Auf der Rückfahrt passieren wir ein riesiges Wasserschöpfrad, das noch aus den Zeiten der Mauren stammt.

Re: Kaiser Pauls Vermächtnis: nach Avila (1978)

Verfasst: Mo 1. Jan 2018, 17:04
von Nergal
Eigentlich reicht es jetzt: Wir sind bis oben hin satt abgefüllt mit Reiseeindrücken. Eins geht aber noch! Morgens packen wir unseren Kram zusammen und verlegen nach Granada. Passenderweise heißt der Platz „El Ultimo“, an dem wir mittags unser Zelt aufschlagen.

http://www.camping.de/en/sites/europe/s ... timo/pp/7/

Nachmittags durcheilen wir den Alhambra-Palast. Es ist jetzt mehr ein Abhaken des letzten Reiseziels als eine inspirierende Besichtigung. Da müssen wir nochmals hin!

Re: Kaiser Pauls Vermächtnis: nach Avila (1978)

Verfasst: Mo 1. Jan 2018, 17:05
von Nergal
Jipieh! Nach über drei wunderschönen Wochen auf Achse geht es wieder zurück. Wir durchqueren Andalusien und die Mancha entlang der Strecke Jaén-Ubeda-Albacete-Requena. Bei Valencia stoßen wir auf die Mittelmeerküste. Als altem Lateiner ist es mir ein besonderes Vergnügen, unterhalb der alten Stadtmauern von Sagunt nächtigen zu dürfen. Hier begann im Jahre 218 v. Chr. der Zweite Punische Krieg, die älteren unter uns erinnern sich! Weniger vergnüglich ist, dass ich bei der Abfahrt am folgenden Tag meine Goldrandbrille auf dem Tresen des Campingplatzes vergessen werde. Der Rest der Reise besteht im Kilometerfressen auf der Autobahn. Bei San Carlos de la Rapita nervt uns starker Seitenwind; bei Perpignan toben Waldbrände; im Rhonetal behindert uns starker Mistral. Je nördlicher wir dann kommen, umso kälter wird es. Die BMW ist nur noch mühsam zu starten. Die Zündung muss dringend eingestellt werden. Ich muss das mal lernen! Vorerst will ich mich damit begnügen, die Karre wieder vom Reisedreck zu befreien. Mehr Zeit habe ich nicht. Jetzt wartet nämlich dröger volkswirtschaftlicher Lernstoff auf mich. Ich will ja noch was werden, nachdem ich dem Tod in Almodovar so knapp von der Schippe gesprungen bin.

Re: Kaiser Pauls Vermächtnis: nach Avila (1978)

Verfasst: Mo 1. Jan 2018, 17:06
von Nergal
ENDE DER GESCHICHTE

Konstruktive Kommentare im Forum willkommen; Moralprediger und Oberlehrer bitte ich um einen handschriftlichen Brief, vorzugsweise auf weichem Toilettenpapier! Für die mäßige Bildqualität bitte ich um Nachsicht. Eine Pocket ist halt leider keine Kleinbildkamera.

Re: Kaiser Pauls Vermächtnis: nach Avila (1978)

Verfasst: Mo 1. Jan 2018, 17:46
von Büds
Sehr schöner Reisebericht, Wolf-Ingo.
Und wenn ich es sagen darf, du hast eine hübsche Frau.
Gruß Andreas

Re: Kaiser Pauls Vermächtnis: nach Avila (1978)

Verfasst: Mo 1. Jan 2018, 18:05
von Mehrheit
Da schließe ich mich meinem Vorschreiber vollinhaltlich an:
Ein Schnuckelchen :-)
Aber Du bist auch ein toller Kerl. Schön, dass Du den Schutzengel dabei hattest. Welch ein Drama wäre das am Schacht geworden....

Lieben Gruß
Sylvia

Re: Kaiser Pauls Vermächtnis: nach Avila (1978)

Verfasst: Mo 1. Jan 2018, 18:22
von Hogi
Wolf-Ingo - Wieder mal ein herrlich geschriebener Bericht. Vielen Dank für's Teilhaben lassen.
...und so ganz nebenbei einen herzlichen Glückwunsch, dass Du "Die Frau deines Lebens" gefunden hast.

Re: Kaiser Pauls Vermächtnis: nach Avila (1978)

Verfasst: Mo 1. Jan 2018, 23:16
von karin
Wolf-Ingo, ein sehr schöner Bericht. Da müssen wir wohl auch noch hin.
Danke fürs mitfahren lassen :)

Re: Kaiser Pauls Vermächtnis: nach Avila (1978)

Verfasst: Di 2. Jan 2018, 08:47
von Domi57
Hoi
Habe ein schönes Bild gesehen...von Evora gesichtet..
Obrigado.;-)
Ich war geschäftlich im jahr 2014 über 6 Monate lang in Evora.
Tolle Stadt und tolles Land.
Gruss Domi57

Re: Kaiser Pauls Vermächtnis: nach Avila (1978)

Verfasst: Di 2. Jan 2018, 14:20
von steffen
Hallo Wolf-Ingo,

Toller Reisebericht aus einer Zeit, die ich lediglich schemenhaft aus Kindheitserinnerungen und aus den Super 8-Filmen meines Vaters kenne.
Gerade heute habe ich ein paar dieser Filme wieder gesehen, da ich für meinen Vater als Weihnachtsgeschenk einen Teil der Filme habe digitalisieren lassen. Auch an Zelluloid gehen 40 Jahre nicht spurlos vorbei. Und der kleine Stöpsel, der auf den Filmen zu sehen ist, ist auch nicht mehr ganz taufrisch. :mrgreen:

Ich mag Deinen trockenen Humor. Bei dem Cadmium-Tongeschirr musste ich kurz laut lachen. :lol:
Mir war garnicht bewusst, dass Du von Ost nach West geflüchtet bist. Hatten wir, glaube ich, noch nicht darüber gesprochen. Aber ich vermute, dass vielleicht auch daran Deine Liebe zu MZ begründet ist.
Und was ich auch feststellen durfte: Deine Frisur ist die gleiche geblieben. ;)

Viele Grüße,
Steffen

Re: Kaiser Pauls Vermächtnis: nach Avila (1978)

Verfasst: Di 2. Jan 2018, 17:56
von Greeny
Wieder mal ganz zauberhaft!

Danke Wolf-Ingo

Greeny

Re: Kaiser Pauls Vermächtnis: nach Avila (1978)

Verfasst: Mi 3. Jan 2018, 12:04
von Nergal
Danke, Ihr Lieben, für die überaus freundliche Aufnahme meines Reiseberichts und die lobenden Kommentare. Besonders erwärmt haben mich Sylvias Worte, dass ich ein toller Kerl sei. Meine Entscheidung für die MZ war 1975 übrigens rein ökonomisch begründet. Mit fehlte schlicht das Geld für die CB 250 G. Dass ich mich in den späteren Jahren mit der Marke MZ so gründlich auseinandergesetzt habe und dem Zweitakter 43 Jahre treu geblieben bin, hat aber sicherlich viel damit zu tun, dass der Hersteller in meiner Heimat Sachsen lag.

Beste und dankbare Grüße

Wolf-Ingo

Re: Kaiser Pauls Vermächtnis: nach Avila (1978)

Verfasst: Mi 3. Jan 2018, 13:00
von Jocker35
Nergal hat geschrieben:Besonders erwärmt haben mich Sylvias Worte, dass ich ein toller Kerl sei.
Wolf-Ingo
Wolf-Ingo, dass, ...... ging Dir bestimmt runter wie Öl. :mrgreen:
Jetzt aber bloß nicht leichtsinnig werden, weißt ja......in unserem Alter muss man etwas auf die Bremse treten. :lol:
Einfach beneidenswert wie Du Deine/Eure Geschichten wiedergeben kannst. Die Bilder mit der BMW erinnern mich sehr an die alten Zeiten mit meiner damaligen R 100 RT, leider gibt es davon keine Bilder mehr. Weiter entfernt als die oberitalienischen Seen, bin ich leider mit ihr nie gekommen. Einmal fehlte damals die Kohle und vielleicht auch etwas der Mut.
Cordoba und Sevillia kenne ich aus späteren Jahren, allerdings war ich mit der Dose dort.

Einen entspannten Tag, leider bei uns mit Sturm und Regen :roll:

Re: Kaiser Pauls Vermächtnis: nach Avila (1978)

Verfasst: Mi 3. Jan 2018, 16:16
von draza
super bericht, kenne spanien und portugal sehr gut,war beruflich oft dort, finde die bilder sogar besser als die digitalen von heute, autentischer der zeit entsprechend,habe mich auch zurückversetzt gefühlt in die zeit, ich dürfte ja auch in deinem alter sein.das herz ist mir aufgegangen,genau der bericht den ich jetzt brauche im winter ,um schon wieder anzufangen zu träumen. am liebsten würde ich schon wieder losfahren,leider noch zu kalt.danke das du mir die freude gemacht hast, ich bin schon wieder motiviert.bin auch viel unterwegs mit meiner domi, ( balkan), lebe ja in serbien.hoffe wir lesen noch was von dir,auch bilder erwünscht.grüsse euch herzlichst. DRAZA.

Re: Kaiser Pauls Vermächtnis: nach Avila (1978)

Verfasst: Fr 5. Jan 2018, 13:40
von Nergal
Herzliche Grüße zurück nach Serbien, Draza! Schöne Domis ist das, die Du da hast.

Beste Grüße

Wolf-Ingo